banner_johannesplatz

Johannesviertel

Das Johannesviertel erhielt seinen Namen durch die Johanneskirche. Das Viertel und die Kirche entstanden Ende des 19. Jahrhunderts im Rahmen eines Stadterweiterungsprojekts unter der Federführung des Kommerzienrats Heinrich Blumenthal. Bis zum Bau der Kirche nannte man das Viertel daher auch "Blumenthalviertel".

Zur Geschichte des Johannesviertels

Von Dieter Körner

(Quelle: Festschrift zum 60. Jahrestag der Wiedereinweihung der Johanneskirche, Oktober 2012)

Das Johannesviertel ist eines der kleineren Stadtviertel Darmstadts. Es erstreckt sich über ca. 27 Hektar und wird umschlossen von der Kasino-, der Frankfurter- und der Bismarckstraße. Das Bild des heutigen Viertels setzt sich zusammen aus den überwiegend gründerzeitlichen Bauwerken, vereinzelten Resten der Landhausbebauung entlang der Frankfurter Straße und Neubauten der Nachkriegszeit, mit denen die Wunden des 2. Weltkrieges geschlossen wurden (z.B. am Alicenplatz, in der Kahlert- und der Wilhelm-Leuschner-Str. und die wiederaufgebaute Johanneskirche). 

Der Unternehmer Heinrich Blumenthal

Bis zum Bau der Johanneskirche trug das Viertel den Namen seines Bebauers Heinrich Blumenthal. Das Blumenthalviertel war eine typische Stadterweiterung Ende des 19. Jahrhunderts mit 3- bzw. 4-geschossiger Bebauung in der Formensprache des Historismus mit Stilanleihen aus Gotik, Renaissance und Jugendstil. Hierfür wurde erstmals in Darmstadt eine Baugesellschaft ohne städtische Beteiligung gegründet: die "Terrain- und Baugesellschaft Blumenthal & Co". Heinrich Blumenthal war Besitzer der Maschinenfabrik Blumenthal, Kommerzienrat, Stadtverordneter und 1. Vorsitzender der israelischen Religionsgemeinschaft.

Zu den Mitgründern der Baugesellschaft gehörten auch Carl Parcus, Direktor der Bank für Handel und Industrie und Mitglied der 1. Kammer des hessischen Landtages, sowie Friedrich Wendelstadt, Kommerzienrat und Inhaber der Bank für Handel und Industrie.

Das Viertel wuchs in zwei Abschnitten zu seiner endgültigen Größe heran. Der erste Bauabschnitt zwischen 1870 und 1880 war der architektonisch und sozial prestigeträchtigere. Das Quartier gewann seine Bewohner vorwiegend aus gehobenen Bevölkerungsschichten. Rund um Frankfurter- und heutige Wilhelm-Leuschner-Straße ließen sich gerne höhere Beamte, Offiziere, Aristokraten, Kaufleute, Unternehmer und leitende Angestellte mit ihren Familien sowie wohlhabende Ruheständler nieder.

Straßennamen im Viertel

In den krisenhaften 1880er Jahren ruhte die Bautätigkeit fast völlig, sie setzte erst wieder gegen 1890 ein und steigerte sich danach rapide. Das Viertel wuchs in nördlicher und nordwestlicher Richtung auf das neu entstehende Industriegebiet jenseits der heutigen Kasinostraße zu. In diesen etwas weniger attraktiven Teil zogen Handwerksbetriebe mit ihren Angestellten sowie Angehörige von Militär und Polizei. Um 1900 erreichte die Bebauung die Kasinostraße und damit das Ende ihrer Ausdehnungsmöglichkeiten. In die Wohnungen zogen vorwiegend Arbeiter aus dem jenseits der Straße entstehenden Industriegebiet ein. Das Andenken der Stadtteilgründer wurde in Straßennamen verewigt - in zwei Fällen allerdings nur bis in die 1930er Jahre: Die Blumenthalstraße wurde, ihres "nicht-arischen" Namens-gebers wegen, von den Nazis umbenannt in (verlängerte) "Kasinostraße". Die Wendelstadt-straße wurde 1938 aus aktuellem Anlass in "Sudetengaustraße" umgetauft, weil Friedrich Wendelstadt irrtümlich auch für einen Juden gehalten wurde. Seit 1945 heißt sie "Wilhelm-Leuschner-Straße". Allein Carl Parcus hat im Windschatten der Politik "seine" Straße behalten. Private Bemühungen einiger Mitbürger des Viertels, die alten Straßennamen wieder einzuführen, waren nicht von Erfolg gekrönt. Nach Blumenthal und Wendelstadt wurden stattdessen weitab vom Johannesviertel, im Neubaugebiet von Kranichstein, eine Straße bzw. ein Platz benannt.

Der neue Stadtteil

wurde auch an die städtischen Verkehrsmittel angeschlossen. Bereits 1890 erfolgte die Anbindung an die Linie der Dampfstraßenbahn entlang der Frankfurter Straße nach Arheilgen. An die "Elektrische" (Straßenbahn) wurde das Viertel erst im Oktober 1903 durch eine Linie über die Bismarck-, Wendelstadt-, Liebig- und Pallaswiesenstraße zum Schlossgartenplatz angebunden. Die Strecke wurde nach 1945 vom Ostbahnhof bis zur Heinheimer Strasse durch die Linie 5 verlängert und wurde ab 1960 durch den L-Bus, mit wechselnden Endhaltepunkten, ersetzt. Die ehemalige Straßenbahnstrecke kann man immer noch an den vorhandenen gusseisernen Rosetten erkennen, an denen die Tragdrähte der Oberleitung verspannt waren.

Besondere Gebäude im Viertel

Einige größere Bauten im Stadtteil dürfen nicht unerwähnt bleiben wie z.B. der sog. Louvre, die Schulen und die Kirche. 

Der "Louvre" an der Ecke Alicen-/Liebig-Straße, war eines der wenigen Gebäude, das von der Blumenthalgesellschaft selbst gebaut wurde (1874). Der Entwurf stammte von den Frankfurter Architekten Linnemann und Strigler. Der neobarocke Bau nahm die gesamte Nordseite des Wilhelmsplatzes (des heutigen Johannesplatzes) ein und war das Renommier-projekt des Viertels. In dem Gebäude wohnten u.a. Blumenthal selbst und der erste hauptamtliche Darmstädter Oberbürgermeister Albrecht Ohly.

Die heutige Goetheschule wurde 1885/86 von Stadtbaumeister Stephan Braden in spät-klassizistischer Klinkerarchitektur erbaut. Für den Schulbau wurde die auf dem Gelände stehende Mahr'sche Dampfschneidmühle umgesiedelt. Die Schule wurde als städtische Mädchen-Mittelschule errichtet, war nach dem 2. Weltkrieg Volksschule (1. - 8.Kl.) und ist heute eine Grundschule. Außerdem waren bis Mitte der 1950er Jahre die Stadtbibliothek und das 3. Polizeirevier im Erdgeschoss der Schule untergebracht, da deren Gebäude noch kriegszerstört waren.

Ab Anfang der 1890er Jahre wurde mit der Verlagerung der Gasanstalt auf dem heutigen Gelände der sog. Schulinsel an die Frankfurter Straße begonnen, um Platz für die Schulbauten zu schaffen. Ab 1901/03 wurde mit dem Bau der Bezirksschule (heute Diesterwegschule) begonnen. Die Planung lag bei Stadtbaumeister Franz Frenay. Die Gebäude haben Ähnlichkeit mit den Mietshäusern des Johannesviertels. Das Schuldienerhaus an der Kasino-straße wurde im Landhausstil erbaut. Ab 1910/11 entstanden die Gymnasien Eleonorenschule (Mädchen) und Justus-Liebig-Schule (Jungen). Die im traditionalistischen Stil durch Stadtbau-meister August Buxbaum errichteten Gebäude wurden mit der gemeinsamen Sporthalle entlang der heutigen Wilhelm-Leuschner-Str. verbunden. Im 3. Reich waren diese Schulen Sammelstellen für den Transport jüdischer Mitbürger in Arbeits- oder Todeslager. Nach dem 2. Weltkrieg waren viele städtische Dienststellen in den Schulen untergebracht, während deren Gebäude noch in Schutt und Asche lagen. Die Turnhalle zwischen den Gymnasien wurde noch bis Anfang der 1960er Jahre als Spielstätte des Landestheaters genutzt.

Der Kirchplatz

Der Johannesplatz, früher Wilhelmsplatz, bildet in etwa den räumlichen und historischen Mittelpunkt des Viertels. Der neugotische Kirchenbau in der Platzmitte wurde nach Plänen der Kirchenbaumeister Prof. Heinrich v. Schmidt und Karl Schwartze 1894 errichtet.

Die Kirche war eines der wenigen Gebäude im Viertel, die 1944 durch Bombenangriffe völlig zerstört wurden. Sie wurde ab 1952 mit verändertem Innenraum wieder aufgebaut.

Ein 1879 für den liberalen hessischen Politiker August Metz errichtetes Denkmal stand bis Mitte der 30er Jahre an der Südspitze des Platzes. Da Metz Jude war (allerdings durch Heirat zum Katholizismus konvertiert), wurde das Denkmal eingeschmolzen. 2015 wurde dort, wo das Denkmal stand, eine Gedenktafel in den Boden eingelassen.

Heute ist das Johannesviertel ein attraktives Wohngebiet,

in dem ein Querschnitt durch alle sozialen Schichten, ein Nebeneinander von Alt- und Neubauten, sowie ab den 70er Jahren durchgeführte städtische Maßnahmen zur Verbesserung des Wohnumfelds eine gute Wohnqualität geschaffen haben.